„Auch wir sind betroffen.“
„Wir haben uns lange Zeit gar nicht in öffentlichen Debatten vertreten gefühlt. Das ist traurig.“
Augen auf, Ohren auf: Immer wieder schreckte Hans-Joachim Hopfe in den vergangenen Wochen hoch, wenn es News gab. Nachrichten zu Corona. Aufpassen. Doch ob Sendung im TV, Radiobeitrag oder neue Berichterstattung in der Zeitung – der Bereichsleiter fand lange Zeit nicht, was er suchte: Aufmerksamkeit für die Arbeit in den Behinderteneinrichtungen. Regeln, Hinweise, Hilfe für die Mitarbeiter und Betreuer. Für die Menschen mit geistiger Behinderung. Für den Umgang mit Corona in deren Alltag, im betreuten Wohnen und in der Heilerziehungspflege.
„Menschen mit Behinderung brauchen ihre klare Tagesstruktur. Für sie ist das besonders wichtig.“
‚Es hat gedauert, bis wir in der Öffentlichkeit zum Thema wurden‘, fasst Hans-Joachim Hopfe zusammen. Und wertet diesen Umstand als Warnzeichen: ‚In den Köpfen vieler Menschen spielen wir scheinbar noch immer keine große Rolle. Das ist schade.‘ Während wachsende Unsicherheit die Mitarbeiter der Lebenshilfe von außen erdrückte, wuchs auch der Druck von innen, Tag für Tag. ‚Wir möchten unseren betreuten Menschen immer ein gutes Sicherheitsgefühl geben. Das brauchen sie, dringend. Das müssen wir ausstrahlen. Vor allem in Zeiten, in denen ihr geregelter Tagesablauf zusammenbricht.‘
„Lange Tage in den Wohngruppen: Man kann nicht 24 Stunden Mensch-ärgere-dich-nicht spielen.“
Plötzlich waren die Werkstätten zu. Über Wochen. Keine acht Stunden Arbeit mehr, so wird der Tag länger, unregelmäßiger, ungewohnt. Hans-Joachim Hopfe: ‚Für viele unserer betreuten Menschen ist Routine das A und O. Frühstücken, abgeholt werden, arbeiten, Mittagspause in der Kantine, arbeiten, nach Hause kommen, immer verlässlich zu den gleichen Zeiten. Darauf verlassen sie sich sonst.‘ Für beide Seiten – für die Menschen mit anderer geistigen Fähigkeit und für die Betreuer – ist Corona somit eine große Aufgabe. ‚Der Tag verlagert sich nach Hause. Hier sind wir gefragt.‘ Die Mitarbeiter halten trotz Abstand eng zusammen – und werden täglich kreativ, für die Lebenshilfe.
„Wenn du weinst, dürfen wir dich leider nicht mehr in den Arm nehmen. Wer soll das verstehen?“
Corona wirbelt durch, bringt die komplette Tagesumstellung mit sich, für alle betreuten Menschen der Lebenshilfe. Wen das noch nicht verwirrt, der hat spätestens dann Fragezeichen, wenn ihm die körperliche Nähe zum No Go erklärt wird. Von heute auf morgen: kein Schulterklopfen mehr, keine Umarmung und kein Handhalten. ‚Wir mussten leider eine Beerdigung während Corona abhalten‘, erzählt Hans-Joachim Hopfe. Nur zehn Menschen durften sich vor Ort verabschieden – ‚im Normalfall wäre das ganze Team gekommen und wir hätten uns gegenseitig tröstend in den Arm genommen.‘
„Organisatorisch ist alles eine große Herausforderung. Das fängt bei einer einfachen Taxifahrt an.“
Die Lebenshilfe kümmert sich um 600 Menschen, um die 100 von ihnen leben in betreuten Wohngruppen, rund 70 in eigenen Wohnungen. Männer und Frauen, Senioren und Kinder mit Schulassistenz – alle sind vertreten. ‚Wir tragen eine große Verantwortung und haben jetzt viele Kleinigkeiten zu klären‘, stellt Hans-Joachim Hopfe gegenüber – und gibt uns eines der ‚kleinen‘ Beispiele: ‚Mit dem Öffnen der Werkstätten werden die Arbeitswege wieder Thema. Wie sollen in einem Kleinbus mit neun Plätzen die Abstandsregeln eingehalten werden? Also zusätzliche Fahrten. Und wer trägt die Kosten?‘
Was mich beschäftigt:
Ich bin seit ’92 dabei, ich habe den Bereich Wohnen & Leben in der Lebenshilfe aufgebaut. Unser Motto war von Anfang an: ‚Wir wohnen mittendrin.‘ Man kann sagen, wir haben Inklusion gelebt, bevor es das Wort gab. Ich finde, wir gehören einfach zu Rotenburg dazu – und wir möchten, gerade jetzt, auch gehört, gesehen und wertgeschätzt werden.
Worauf ich hoffe:
Dass unser zehntes Hallo-Verden-Festival im November stattfinden kann. Alles steht, den Vorverkauf habe ich noch nicht angeschoben, bisher. Wir werden dazu informieren, sobald es losgehen kann.