Dank Glauben verwurzelt.
„Es ist schön, dass wieder Gottesdienste stattfinden dürfen. Doch das Singen, das fehlt mir sehr.“
Amely Lißner schaut traurig. Corona-konform – mit Abstand – erklärt sie, warum: ‚Es geht mir nicht um einen Solo-Auftritt oder ähnliches. Vielmehr um den Gesang der Kirchenbesucher, das gemeinschaftliche Singen. Wir erheben sonst im Gottesdienst zusammen die Stimme. Gleichen uns aus, bestärken uns gegenseitig – wenn mal jemand ruhiger wird, wird das von anderen aufgefangen. Das ist für mich sinnbildlich.‘ Stille. Kaum zu glauben, wie viel Tiefe die Pastorin einer Metapher schenken kann.
„Mit Mundschutz das ‚Vater unser‘ beten? Für unsere Gesundheit kommen wir nicht darum herum.“
Menschen mit Vorerkrankungen wie Asthma dürfen ohne Maske in die Kirche kommen – für alle anderen Gäste des Gotteshauses gilt die dringende Empfehlung. ‚Mundschutz ist jetzt ein Muss‘, weiß die Pastorin. Ihr Blick schweift über die Bankreihen. Leer und kühl. So empfindet Amely Lißner die Stadtkirche in diesen Tagen, wenn sie sie allein betritt – und für die Besucher vorbereitet. Wenn sie sieht, dass die weichen Sitzkissen aus hygienischen Gründen fehlen. Die Gesangsbücher nicht ausliegen, um die Berührungen zu vermeiden. Stühle auseinander gerückt da stehen. Irgendwie verloren. An einem Ort, an dem Menschen Nähe suchen, zu anderen, zu ihrem Glauben.
„Eine Predigt beim Frühstück oder in der Badewanne hören, das war doch auch mal eine Erfahrung.“
Online-Gottesdienste per Youtube – etwas Neues für die Stadtkirche und ihre Pastoren, aber neue Wege müssen in Corona-Zeiten gegangen werden, ist sich Amely Lißner sicher. Es lohnt sich. ‚Wir haben teils bis zu 900 Menschen mit unseren Videos erreicht, total schön.‘ Telefonandachten und Grußkarten, Worte, Bilder und Bewegtbilder: Die Kirche findet zu ihrer Gemeinde. Und die Gemeinde – ist entspannt. ‚Ich spreche viele, die entschleunigt sind, jetzt innehalten. Mir ging es da genauso. Ich fühlte mich vor Corona atemlos. Dann die Vollbremsung, jetzt die Hoffnung und Gelassenheit.‘
„Ich spreche nicht zu Masken, ich spreche zu den Menschen dahinter – nur das zählt.“
Die Menschlichkeit ist wichtig, sagt die Pastorin. In Gottesdiensten, in anderen Situationen, heute, gestern und morgen. Deshalb sieht sie die Begrenzung von Personen bei Beerdigungen kritisch. Eine Weitere ergibt sich durch den Raum, den wir in diesen Tagen zwischen uns lassen müssen: auch auf der Kirchenbank. ‚Hunderte finden gewöhnlich in der Stadtkirche Platz, aktuell mit Abstand nur 60 bis 70 Menschen.‘ Doch – auch angesichts dieser Zahlen findet Amely Lißner auffangende Worte: ‚Der Gottesdienst ist für mich nicht das Zentrum meines Glaubens, das liegt in mir. Das ist auch zu Hause.‘
Worüber ich nachdenke:
Darüber, was wir vielen alten und kranken Menschen, die wir ja eigentlich schützen wollen, in dieser Zeit durch die Kontaktsperren angetan haben. Mit diesem Dilemma hadere ich. Und: Ich finde es wichtig, dass wir uns etwas vor Augen halten – dass christlicher Glaube davon existiert, tiefes Vertrauen in ein Leben zu vermitteln, das mehr ist als der Schutz vor Ansteckung.
Wofür ich dankbar bin:
Für das Innehalten und für die Möglichkeit, in dieser bewegten Zeit viel in der schönen Natur von Rotenburg zu sein. Und, wenn man mal bedenkt: Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Ich bin dankbar für die ganzen Jahre in Frieden, die unfassbar friedvolle Zeit, in der wir hier leben dürfen.