Rotenburgs Genussbotschafterin
„Uns fehlt hier oft die Kunst des Genießens. Das möchte ich ändern.“
Auch mal runterfahren. Eine gute Tasse heißen Kaffee mit perfektem Milchschaum trinken, die Stadt beim langsamen Erwachen beobachten oder zum Frühstück ein paar Buchseiten lesen. Nachmittags mit Freunden herzlich lachen, dabei vorfreudig das nächste Stück Erdbeer-Tarte auf der Kuchengabel balancieren. Das Leben auskosten.
Marleen Kruppas wichtigste Botschaft lautet: Genuss. Sie selbst ist beruflich weite Wege gegangen und hat lange Zeit im Workaholic-Modus gearbeitet, um Genuss zu produzieren und – schließlich selbst zu lernen.
„Ich habe jahrelang eigentlich nur gearbeitet, rund 18 Stunden am Tag.“
Workaholic-Phase, nennt Marleen es selbst. Aber irgendwie war es auch „ganz normal“ für die gebürtige Rotenburgerin, die in großen Sterneküchen in Österreich und Hamburg gearbeitet hat. „Da war das Gang und Gäbe“, sagt sie kurz, schulterzuckend. Einsatz, rauer Ton, himbeergenaue Umsetzung. Ihr Perfektionismus habe sie auf ihrer Laufbahn, die sie als Kellnerin im Waldhof Unterstedt begann und als leidenschaftliche Konditorin „von Welt“ fortführte, praktischerweise begleitet. Rückblickend resümiert Marleen: „Es waren sehr lehrreiche und spannende Zeiten, die ich nicht missen möchte. Im Nachhinein betrachtet, hat es mich gut aufs eigene Café vorbereitet.“
„Das Café Marleen war ein wahr gewordener Traum für mich. Bis Corona kam.“
2017 öffnete Marleen Kruppa mit 25 Jahren schwungvoll die Türen zu ihrem Café Marleen. Mitten im Herzen von Rotenburg, im Haake-Meyer. Wie ein „öffentliches Wohnzimmer“ sollte es sein – und war es. Genuss pur für die Gäste. Mit kulinarischer Qualität und Handwerksliebe, mit altbekannten Kuchenklassikern und neuer Sterneküchen-Prise. „Die Selbstständigkeit war immer ein Ziel von mir. In der Realität war es mit eigenem Café wirklich traumhaft – aber natürlich auch herausfordernd.“
Marleen schlüpfte täglich in ihre Kochschürze und in verschiedenste Rollen: von der Konditorin, Personalleiterin und Buchhalterin bis zur Werbetrommel und Putzkraft. „Trotzdem schön“, sagt sie, wieder schulterzuckend, aber dieses Mal lächelt sie.
Wenige Momente später muss Marleen schlucken – und guckt ernst über ihre Espressotasse. „Dann kam aber Corona. Da konnte ich nicht gegen anarbeiten.“
„Es gibt Menschen in Rotenburg, die für dich da sind, wenn’s darauf ankommt.“
Corona kam, und mit der Pandemie setzte sich eine Schuldenhaube auf die andere. „Ich musste handeln.“ Die Café-Marleen-Türen musste sie geschlossen halten, doch in der Gastro-Branche jetzt einen anderen Job finden, in dieser Zeit? „Aussichtslos.“
Umso dankbarer war Marleen, als ihre guten Freunde von der Fleischerei Hollmann sie zu sich ins Team holten. Und sich sofort Menschen bei ihr meldeten, die ihr beim bürokratischen Schlussstrich im Café halfen. „In Rotenburg sind wir füreinander da“, habe ihr Andreas Weber mal freundlich zugerufen, als er ihrem stadtbekannten blauen Retro-Fahrrad einen „Stadtradeln“-Sattelschutz überzog. „Und das stimmt, finde ich.“
„Ich liebe das Handwerk immer noch! Und genieße heute meine freie Zeit.“
Marleen musste ihren Café-Verlust einige Jahre lang verdauen. Worte wie „Scheitern“ ganz hinter sich zu lassen, das dauerte – doch inzwischen blickt sie nach vorn. Im Team Hollmann ist sie angekommen und bringt dort ihre Handwerksliebe mit ein. Anderer Ort, ähnliche Herangehensweise: Sie lernt gern und viel dazu, ist kreativ, sorgt für Genuss. Auch als Konditorin lebt sie sich beruflich weiter aus, ab und zu in Bremen und auch daheim. „Backen ist wie Meditation für mich. Das liebe ich daran.“
Was sie an ihrer neu gewonnenen Lebenssituation liebt: Sie hat geregelte, humane Arbeitszeiten. Zum allerersten Mal. Sie hat endlich die Zeit, sich um sich selbst zu kümmern und sich einen Safespace in Rotenburg aufzubauen. Ein Umfeld. Ein Zuhause. Und: Sie hat nun die Ruhe, sich kreativ bei der Arbeit auszuleben, viele neue Rezepte auszuprobieren – und sich die Süße des Lebens auch selbst schmecken zu lassen.
Was Marleen Kruppa gerade noch bewegt:
„Kommt zum Food Market am 6. April in der Rotenburger Fußgängerzone!“ Marleen Kruppa organisiert als 2. Vorsitzende des IG City Marketings das erste Rotenburger Food Festival. Verkaufsoffener Sonntag, Stände mit regionalem Food – Eintritt ist frei.
„Danke an die lieben Frauen des Eine-Welt-Ladens im Haake-Meyer!“ Damals, zu ihren Café-Marleen-Zeiten, haben die Frauen sie unterstützt: sie gesehen und gehalten. „Sie haben mir gezeigt, dass es Wahrnehmung und Zuwendung ohne Verurteilung gibt.“
„Ich wünsche mir mehr Leben in der Rotenburger Innenstadt.“ Marleen weiß, dass das immer schwerer in der Umsetzung wird, in Zeiten von großen Onlineshops und steigenden Mietpreisen. Trotzdem hofft sie weiter – und trägt von der Fleischerei Hollmann aus zum lebendigen, genussvollen Stadtleben bei. „Schöne, kleine Geschäfte, auch spannende Pop-up-Stores oder Freelancer-Ideen wären toll!“
„Wenn mich mein Weg eines gelehrt hat, dann dass man an sich glauben muss.“ Ohne gehe es nicht, sagt Marleen, vor allem in der Selbstständigkeit. „Ohne Glauben – und ohne Ehrlichkeit sich selbst gegenüber: Folge ich hier gerade meinem Herzen?“