Schützerin mit Herz.
„Ein komplettes Krankenhaus ohne eine einzige Blume. Das muss man sich mal vorstellen.“
Es ist ein trauriges Bild, das Petra Vermehren beschreibt. Und sie hört oder liest nicht nur davon, sie sieht es, jeden Tag. Seit Besuchsverbote gelten und dafür Corona potenziell durch die Flure weht, ist das Agaplesion Diakonieklinikum blumenlos. Mitbringselfrei, weil besucherfrei, hygienisch, clean. Die Krankenpflegerin schluckt schwer. ‚Wenn jemand bei uns auf Station stirbt, sorge ich sonst immer schnell für eine Blume. Ein Kinderspiel, die stehen sonst überall. Jetzt finde ich keine.‘ Sicher nicht das schwerwiegendste Problem in Krisenzeiten, sagt sie, und doch – es zeigt, wie schwer etwas so Leichtes, eine so kleine Geste, die plötzlich fehlt, wiegen kann.
„Ich handle als gelernte Krankenschwester, aber auch als mitfühlender Mensch.“
Einsamkeit. Ungewissheit. Stille. Für viele Patienten ist es wirklich nicht schön, so lange allein zu bleiben, weiß Petra Vermehren. Und für viele Angehörige ist es genauso belastend, nicht zu ihren Liebsten zu können oder nicht zu wissen, wie es ihnen geht. ‚Ich nehme mir gerade noch mehr Zeit für alle, ich würde mich ja auch freuen, wenn mich jemand so behandelt. Und die Dankbarkeit und das Verständnis sind groß‘, erzählt die Krankenpflegerin. Sie nickt, als würde sie sich selbst noch einmal bestärken wollen. ‚Menschlichkeit ist wichtiger als Zeit. Auch im stressigen Arbeitsalltag.‘
„Bumms, dann war’s vorbei. Keine Theaterauftritte, keine Proben. Von einem Tag auf den nächsten.“
Petra Vermehren zeigt uns auch ihr zweites Gesicht. Es lächelt von einem Ohr zum anderen. Und die Augen funkeln lebendig. Denn ja, sie steckt viel Herzblut in ihren Job im Krankenhaus – aber sie hat trotzdem noch ganz viel übrig: für die Schauspielerei. Einmal die Woche proben, ohne Corona für sie ein Muss. Sie gehört fest zu RollenTausch, dem Theaterensemble der KIR (Kulturinitiative Rotenburg). ‚Im März haben wir noch ein Wochenende Auftritte gehabt, das Stück Top Dogs gezeigt. Die Termine danach mussten wir absagen.‘ Vor 30 statt vor geplanten 200 Zuschauern spielen, kein gemeinsames Festessen danach. Schade. Seit Monaten schlüpft Corona in die Rolle ihres Spielverderbers.
„Die Menschen fehlen mir, die Bühne fehlt mir, das Schauspielern fehlt mir. Sehr.“
Sieben, acht Bücher stapeln sich auf Petra Vermehrens weißem Gartentisch. Potenzielle Stücke. ‚Ich lese trotz allem schon mal quer, was wir nächstes Jahr spielen könnten, das macht mir Spaß‘, sagt sie und spielt mit Daumen und Zeigefinger an den Seiten. Was RollenTausch 2021 auf die Bühne bringt, steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt. ‚Wir haben auch neue Leute dabei, mit denen wir noch nicht proben konnten. Wir wissen noch nicht, wer mit wem harmoniert. Bei wem Gestik, Mimik, Art gut zusammenpassen. Es kann nicht jeder jeden umarmen oder küssen, mit jedem eng spielen. Dafür braucht es Sympathie. Und dafür braucht es Nähe.‘
Was mich noch beschäftigt?
Meine Tochter hat Zwillinge bekommen vor ein paar Wochen. Natürlich freue ich mich sehr. Nur, ich konnte sie wochenlang nicht sehen und was ich mich auch frage: Was passiert mit Kindern, die jetzt die sozialen Kontakte nicht erlernen, nicht haben und fühlen? Das fehlt ihnen doch sicher? Und sie kommen nicht raus, kennen es nicht, mit im Auto zu fahren oder in Gruppen zu sein. Darüber denke ich viel nach.